Pressemitteilung vom Augsburger Klimacamp am 30.12.2022

So bereiten sich Augsburger Klimaaktivisten auf die Verteidigung Lützeraths vor

Mitte Januar soll Lützerath, ein besetztes Dorf in Nordrhein-Westfalen, geräumt werden, um die darunter liegende Braunkohle verheizen zu können. Augsburger Klimaaktivistinnen mobilisieren dagegen – und laden zu offenen Aktionstrainings zur Verteidigung Lützeraths. Wieso das Thema Augsburger Aktivistinnen so wichtig ist, wie sie sich vorbereiten und was die Stadt Augsburg damit zu tun hat.

Kohle gab vor 2½ Jahren den Anstoß für die Gründung des Augsburger Klimacamps, und Braunkohleabbau beschäftigt Augsburgs Klimagerechtigkeitsbewegung auch aktuell wieder sehr intensiv: Denn im Januar steht die von der Bundes- und Landesregierung zu verantwortende Räumung des nordrhein-westfälischen Dorfs Lützerath an. Aktuell hält sich eine dreistellige Zahl Klimaaktivist*innen in Lützerath auf. Sie möchten es gegen den Energiekonzern RWE verteidigen, der Lützerath für eine Vergrößerung des angrenzenden Tagebaus Garzweiler II abbaggern möchte.

„Vor Lützerath verläuft die 1,5-Grad-Grenze“, erklärt Julius Natrup (35) vom Augsburger Klimacamp, wieso Lützerath großen Teilen der deutschen Klimagerechtigkeitsbewegung so besonders wichtig ist. In der Tat kommt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsförderung [1] zum Schluss, dass Deutschlands Rest-CO₂-Budget auf jeden Fall deutlich überschritten werden würde, wenn die Kohle unter Lützerath noch verfeuert wird. Die Zahlen für diese Studie stammen von RWE selbst sowie vom Sachverständigenrat für Umweltfragen der deutschen Bundesregierung [2]. „Deutschland bricht das demokratisch beschlossene Pariser Klimaabkommen, wenn Lützerath tatsächlich abgebaggert werden sollte“, so Natrup weiter.

AKTIVISTEN ORIENTIEREN SICH AN ERFOLGREICHER VERTEIDIGUNG DES HAMBACHER FORSTS

Zur Verteidigung Lützeraths orientieren sich Klimaaktivist*innen an der erfolgreichen Verteidigung des 30 Kilometer entfernt liegenden Hambacher Forsts. Dieser sollte ebenfalls zur Kohlegewinnung abgebaggert werden, doch durch die aktivistische Besetzung mit mehreren Baumhausdörfern kam 2012 Schwung in die politische Debatte. 2018 verfügte das zuständige Oberverwaltungsgericht einen sofortigen Rodungsstopp [3] und schlussendlich gab der damalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet seine Rodungspläne auf. Darüber hinaus urteilte 2021 das Verwaltungsgericht Köln, dass eine zwischenzeitlich von Laschet auf den Weg gebrachte polizeiliche Räumung der Baumhausdörfer im Hambacher Forst rechtswidrig war [4]. Eine Tonaufnahme bestätigte, dass Laschet einen Vorwand zur Räumung erfand [5].

Auch bei der für Mitte Januar terminierten Räumung Lützeraths sind noch Verfassungsfragen offen. Zu diesem Schluss kam die Grüne Bundestagsfraktion, nachdem der renommierte Verfassungsrechtler Prof. Dr. Georg Hermes die Rechtskonstruktion bewertete. Ein zweites Gutachten bestätigte später diese Einschätzung [6]. „In Lützerath droht ein Klimaverbrechen und eine illegale Räumung. Wie beim Hambacher Wald sollen gewaltsam Menschen geräumt werden, die das Klima schützen – obwohl die Rechtskonstruktion zur Räumung äußerst fragwürdig ist. Polizeipräsident Weinspach kann verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt, indem er die Räumung aufgrund der unsicheren Rechtslage verweigert“, erklärt Jürgen Siebertz der Initiative Alle Dörfer Bleiben.

OFFENE AKTIONSTRAININGS ZUR GEMEINSAMEN VORBEREITUNG

Zur Vorbereitung auf die Verteidigung Lützeraths organisieren Augsburgs Klimaaktivist*innen offene sog. Aktionstrainings, wie sie aktuell in vielen deutschen Städten stattfinden [7]. Das erste gibt es noch dieses Jahr: An Silvester um 14:00 Uhr im Klimacamp. Eine Teilnahmegebühr oder nötiges Vorwissen gibt es nicht.

Dabei werden verschiedene Themen behandelt. Allen voran: Mögliche rechtliche Konsequenzen einer aktivistischen Verteidigung Lützeraths. Denn viele potenzielle Unterstützer*innen sind Lehramtsstudierende oder haben aus anderen Gründen Sorgen vor einem Eintrag im Führungszeugnis.

Neben Theorie zu Versammlungs- und Strafrecht umfassen die Aktionstrainings praktische Übungen: Welche Körperhaltung empfiehlt sich für Sitzblockaden, wenn das Spezialeinsatzkommando der Polizei einen wegtragen möchte? Wie durchfließt man Polizeiketten? Mit welchem Kleber haftet man besonders gut am Untergrund?

Außerdem wird behandelt, welche Unterstützungsmöglichkeiten man bequem von zu Hause vom Sofa aus ergreifen kann und welche Aktionen in Augsburg der Sache dienlich sind. Damit sollen auch Bürger*innen eingebunden werden, die sich direkte Konfrontation nicht leisten können oder weniger risikoreich den Widerstand in der Region unterstützen wollen.

Die Räumung Lützeraths könnte sich über Wochen oder Monate hinziehen. Wie berichtet, birgt dieser Umstand für Augsburgs Klimacamper*innen eine besondere Herausforderung. Denn wenn große Teile der Augsburger Klimagerechtigkeitsbewegung Lützerath verteidigen, kann womöglich das Klimacamp nicht mehr adäquat betreut werden [8].

STADT AUGSBURG MITVERANTWORTLICH

„Die Stadt Augsburg ist klar mitverantwortlich für die drohende Zerstörung Lützeraths“, erklärt Natrups Mitstreiter Ingo Blechschmidt (34). Denn die Stadt Augsburg lasse zu, dass die Stadtwerke an der Strombörse weiterhin Kohlestrom kaufen statt bilaterale Verträge mit Ökostromproduzenten abschließen. Im bundesdeutschen Vergleich war der Kohlestromanteil der Augsburger Stadtwerke über die vergangenen zehn Jahre sogar noch besonders hoch [9].

„Spätestens nach der Flutkatastrophe im Ahrtal hätte die Oberbürgermeisterin im Stadtrat für einen Kohleausstiegsbeschluss werben müssen“, so Blechschmidt. Da die Stadtwerke eine hundertprozentige Tochter der Stadt Augsburg sind, könne die Stadt hier ihren Handlungsspielraum entfalten.

REFERENZEN

[1] https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.819609.de/diwkompakt_2021-169.pdf
[2] https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2022_06_fragen_und_antworten_zum_co2_budget.pdf?__blob=publicationFile&v=30, Tabelle 1 auf Seite 8, Zeile „Maximale CO₂-Budgets ab 2022 in Gt“, Spalte „1,5 67%“. Das sind 2 Gt CO₂, also 2.000 Mt CO₂. Davon stehen 20% für die Kohleverstromung zur Verfügung (SRU 2017), macht 400 Mt CO₂. Unter Lützerath liegen 280 Mt Braunkohle. Pro verbrannter Tonne Braunkohle entstehen 3,25 Tonnen CO₂. Macht 910 Mt CO₂ insgesamt, mehr als das Doppelte der 400 Mt CO₂.
[3] https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/hambacher-forst-gericht-verfuegt-einstweiligen-rodungs-stopp-a-1231705.html
[4] https://www.sueddeutsche.de/politik/hambacher-forst-raeumung-rechtswidrig-1.5405125
[5] https://taz.de/Aktuelle-Stunde-zum-Hambacher-Forst/!5624746/
[6] https://heinsberg-magazin.de/2022/12/29/raeumung-von-luetzerath-stuetzt-sich-auf-verfassungswidrigen-paragraphen-nrw-umweltminister-krischer-da-wurde-eine-unwahrheit-in-ein-gesetz-geschrieben/
[7] https://luetzerathlebt.info/soli-aktionen/
[8] https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/augsburg-suche-nach-helfern-das-augsburger-klimacamp-geht-vorerst-weiter-id64986286.html
[9] Informationen der Stadtwerke, nicht mehr online verfügbar, nur noch archiviert unter https://www.klimacamp-augsburg.de/pages/material/Fragenkatalog-Stadtwerke/fragen_swa_2021_antworten_kommentare_updates.pdf.