Pressemitteilung vom Augsburger Klimacamp am 6.10.2022

Nach Dienstaufsichtsbeschwerde: Polizei kann Widersprüche im Fehlverhalten der Abteilung ‚Staatsschutz‘ nicht auflösen

In dem überregional als „Pimmelgate Süd“ bekannt gewordenen Skandal [1,2,3] um den Eingriff der Abteilung ‚Staatsschutz‘ der Augsburger Polizei in den intimen Schutzbereich des ehemaligen Bundestagskandidaten und Klimaaktivisten Alexander Mai (26), über den mittlerweile sogar die New York Times berichtete [4], liegt nun die polizeiliche Stellungnahme zu der von Mai gestellten Dienstaufsichtsbehörde vor. Sie vermag Widersprüche im Fehlverhalten der Abteilung ‚Staatsschutz‘ nicht aufzulösen.

Im April diesen Jahres hatte die Abteilung „Staatsschutz“ die Wohnung von Mai durchsucht, seine privaten technischen Geräte sowie seinen Arbeitslaptop konfisziert und sich so Zugang zu großen Teilen der vertraulichen digitalen Kommunikation der Augsburger Klimagerechtigkeitsbewegung verschafft. Die Abteilung „Staatsschutz“ begründete ihren Übergriff damit, Mais Urheberschaft an einem Facebook-Link zu einem Zeitungsfoto nachweisen zu wollen – obwohl daran kein Zweifel bestand, da Mai den Kommentar bereits ein halbes Jahr zuvor unter seinem vollen Namen veröffentlichte und dies auch nicht bestritt. Wie im Nachgang des Vorstoßes bekannt wurde [5,6,7,8], geht die Abteilung „Staatsschutz“ regelmäßig mit Hausdurchsuchungen gegen friedlichen Klimagerechtigkeitsaktivismus in Augsburg vor. Die Aktivist*innen und zahlreiche Medien sehen darin einen Versuch der Einschüchterung.

In seiner Dienstaufsichtsbeschwerde bat Mai um Aufklärung, wie es dazu kommen konnte, dass er während der umstrittenen Hausdurchsuchung zu keinem Zeitpunkt seine Anwältin anrufen durfte, obwohl er die ganze Zeit über auf diesem Recht bestand. Das Brisante dabei: Das von zwei der anwesenden Polizisten unterschriebene polizeiliche Durchsuchungsprotokoll [9] bestätigt Mais Aussage, dass ihm das Telefonat mit seinem Rechtsbeistand verwehrt wurde. Im Widerspruch dazu behauptete die Pressestelle der Polizei gegenüber der Süddeutschen Zeitung und Netzpolitik.org, Mai sei ein Diensthandy für den Anruf zur Verfügung gestellt worden. Die der Redaktion vorliegende Stellungnahme der Polizei zu Mais Dienstaufsichtsbeschwerde wiederholt diese Behauptung wörtlich. Sie vermag daher nicht, den Widerspruch aufzulösen. Für die geschwärzte Veröffentlichung des Durchsuchungsprotokolls handelte sich Mai dagegen ein zweites Ermittlungsverfahren gegen ihn ein [10].

Erst verschleppt, dann ungründlich ermittelt?

Mai und seine Mitstreiter*innen vom Augsburger Klimacamp reagieren auf die Stellungnahme mit einem förmlichen Widerspruch, den sie auch online auf der dafür eingerichteten Webseite „pimmelgate-süd.de“ transparent zur Verfügung stellen. Darin fordern sie auch Auskunft über die Aussage der städtischen Zeugin, die der Hausdurchsuchung beiwohnte. Sie – da ist sich Mai sicher – könne bestätigen, dass ihm sein Recht, seine Anwältin zu kontaktieren, rechtswidrigerweise verwehrt wurde. Die Stellungnahme enthält indes keinen Hinweis auf eine Befragung der städtischen Zeugin im Rahmen der dienstaufsichtlichen Ermittlungen gegen die vier Beamten.

Nachdem Mais ursprüngliche Dienstaufsichtsbeschwerde nach der persönlichen Übergabe innerhalb der Polizei „verloren ging“, wie Mai zwei Wochen später auf telefonische Nachfrage erfuhr, hofft er nun im zweiten Anlauf auf gründliche Ermittlungstätigkeit der Polizei. Viel Hoffnung hat er dabei nicht: „Unser aktuelles Polizeisystem legt allen Polizeibeamten, die ihren Dienst am Gemeinwohl gewissenhaft verfolgen möchten, Steine in den Weg. An der Stelle einer gesunden Fehlerkultur stehen stattdessen strenge Hierarchien und Gruppendruck. Andernfalls kann ich mir nicht erklären, wie es sein kann, dass von vier anwesenden Beamten kein einziger seine Kollegen zur Seite nimmt und sie darauf hinweist, dass Betroffenen von Hausdurchsuchungen ein Anruf bei der Anwältin zusteht? Zusätzlich ermittelt im Nachgang keine unabhängige Behörde, sondern die Polizei gegen die Polizei. Diese wiederholt dabei sogar dann noch widersprüchliche Aussagen, wenn deren Unwahrheit schriftlich, öffentlich und polizeilich dokumentiert ist.“

Mai weist auch daraufhin, dass viele Bürger*innen bei rechtswidrigem Verhalten der Polizei weit weniger Glück im Unglück haben als er. Ein Gutachten bestätigte vor wenigen Tagen [11], dass die Polizeigewalt ursächlich für den Tod eines in Mannheim betrauerten 47-jährigen Patienten war. Der Fall sorgte bundesweit für Entsetzen und führte auch in Augsburg zu Demonstrationen für ein besseres Polizeisystem [12]. Nur acht Tage später starb in Mannheim ein weiterer Hilfebedürftiger durch die Hand des Polizeisystems [13].

[1] https://netzpolitik.org/2022/augsburg-pimmel-kommentar-fuehrt-zu-razzia-bei-klimaaktivisten/
[2] https://www.sueddeutsche.de/bayern/augsburg-pimmelgate-klimacamp-polizei-1.5566562
[3] https://www.augsburg.tv/mediathek/video/wirbel-um-hausdurchsuchung-klimacamp-aktivisten-kritisieren-polizeieinsatz/
[4] https://www.nytimes.com/2022/09/23/technology/germany-internet-speech-arrest.html
[5] https://www.br.de/nachrichten/bayern/wenn-der-augsburger-staatsschutz-im-kinderzimmer-steht,T6NGbJ1
[6] https://www.stern.de/gesellschaft/janika-pondorf—ich-war-wegen-dieses-polizeieinsatzes-in-der-klinik–31895656.html
[7] https://www.daz-augsburg.de/jkjlkj/
[8] https://forumaugsburg.de/s_1aktuelles/2022/06/22_wenn-der-staat-sich-schuetzt.htm
[9] https://www.pimmelgate-süd.de/pressemappe/alex-durchsuchung/durchsuchungsprotokoll.pdf
[10] https://netzpolitik.org/2022/pimmelgate-sued-augsburger-polizei-ueberzieht-klimaaktivisten-mit-weiterem-verfahren/
[11] https://www.swp.de/baden-wuerttemberg/tod-nach-polizeieinsatz-ermittler_-mann-starb-an-atembehinderung-nach-polizeikontrolle-in-mannheim-66544665.html
[12] https://www.forumaugsburg.de/s_3themen/Repression/220509_47-jaehriger-verstirbt-in-mannheim-nach-polizeigewalt-kundgebung-in-augsburg/index.htm
[13] https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-05/mannheim-polizeigewalt-psychisch-kranke